„Die Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – mit Ausnahme von all den anderen Regierungsformen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“ Winston Churchill (1874-1965)
Thema I: Autokraten, Oligarchen, Plutokraten – Private Potentaten vs. Demokratien

Im Jahr 2004 gab es erstmals wieder mehr autokratische und totalitäre Systeme weltweit als Demokratien.(1) Die schleichende Autokratisierung zeichne sich dabei schon länger ab, so eine Bertelsmannstudie:
„In den vergangenen zehn Jahren hat nahezu jede fünfte Demokratie an Qualität eingebüßt, darunter regional bedeutsame und einst stabile Demokratien. Aber auch in vielen Autokratien haben Unterdrückung, Machtmissbrauch und die Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit weiter zugenommen. Sieben Staaten, die noch vor zwei Jahren als “defekte Demokratien” galten, sind im BTI 2022 zudem zu Autokratien abgestiegen. Zwar gab es in der vergangenen Dekade auch Regimewechsel in die umgekehrte Richtung, wie etwa in Armenien, Sri Lanka und Tunesien. Aber die Entwicklungen in diesen jungen Demokratien sind von zahlreichen Rückschritten gekennzeichnet.“ (1)
Dazu kommt der Regierungswechsel in den USA. Während Donald Trump in seiner ersten Amtszeit noch von vielen qualifizierten Fachkräften in seinem Furor eingehegt wurd, steht die zweite Amtszeit unter dem Vorsatz von Rache. Schon nach wenigen Wochen ist klar: Trump und seine Adlaten wollen das demokratische System der USA nicht reformieren, sondern zerstören. Behörden werden ebenso aufgelöst wie Mitarbeiter grundlos entlassen, Gelder für internationale Organisationen gestrichen. Weder Verträge noch Gesetze werden eingehalten. Mit Hilfe von Dekreten werden demokratischen Institutionen (Kongress und Senat) umgangen, selbst wenn die Trumpisten dort sogar die Mehrheit hätten. Aber die Inszenierung der Macht – Trump unterzeichnet Dekrete, ohne Rücksicht auf Rechtsnormen und Regularien – ist wichtiger als der Erhalt rechtsstaatlicher Institutionen und Prozesse. Und die sich ursprünglich liberal gebenden Tech-Milliardäre wechseln in das Lager der Trumpisten. Wer weiterhin ungehindert (und möglichste unreguliert) Geschäfte machen will, huldigt Trump und seinem Clan aus Loyalisten und Kostgängern.
Breitbeinigkeit scheint auch in Deutschland nach der Bundestagswahl im Februar 2025 als Maxime zu gelten. Der Wahlgewinner Friedrich Merz lud noch am Wahlabend den israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein, Deutschland zu besuchen. Er wolle „Mittel und Wege“ finden, um den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu zu umgehen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte im November 2024 gegen Netanjahu, seinen früheren Verteidigungsminister Joav Gallant und den mittlerweile von Israel getöteten Militärchef der Hamas Haftbefehle wegen Kriegsverbechen erlassen.
Das Problem: Selbst ein gewählter Bundeskanzler kann einen internationalen Haftbefehl des IGH nicht außer Kraft setzen. Deutschland hat den Weltstrafgerichtshof (IGH) seit seiner Gründung 2002 anerkannt, wie 125 andere Unterzeichnerstaaten. (2) Nicht unterzeichnet haben die USA, Russland, Israel und Sudan. Merz bricht mit dieser Ankündigung nicht nur (noch vor Amtsantritt) internationales und deutsches Recht, sondern setzt sich auch über die Prinzipien der Gewaltenteilung (Legislative, Jurikative, Exekutive, siehe Begriffsklärung der Bundeszentrale für politische Bildung zu: Gewaltenteilung) hinweg.
“Christoph Safferling ist Professor für Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Schon die Ankündigung von Merz führt bei ihm und vielen anderen Völkerrechtlern zu großem Unverständnis: “Schon mit dieser Aussage provoziert er den Internationalen Strafgerichtshof. Wenn er das wirklich macht, dann können wir beim IStGH das Licht ausmachen”, so Safferling. (…) Sobald bekannt werden sollte, dass Netanjahu nach Deutschland reisen wird, wird der IStGH wohl auch ein konkretes Festnahme- und Überstellungsersuchen nach Deutschland schicken. Für die Festnahme ist die Generalstaatsanwaltschaft zuständig in dem Bundesland, in dem sich Netanjahu dann aufhält. “Wenn es nicht zur Festnahme kommt, weil Merz oder ein Justizminister das angeordnet hat, dann könnte es sogar sein, dass er sich strafbar macht wegen Strafvereitelung im Amt. Und auch die Staatsanwälte würden möglicherweise Rechtsbeugung begehen.”
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesrepublik-netanjahu-festnahme-104.html
Merz müsste also erst internationale Verträge aufkündigen oder geltende Gesetze ändern und dafür eine parlamentarische Mehrheit finden, um so zu agieren. Sonst agiert er autokratsich. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch nannte Friedrich Merz (nach dessen Ausfall gegen Demonstranten) denn auch “Mini-Trump”, der ja ebenfalls glaubt, außerhalb (genauer: über) dem Gesetz zu stehen.

Die US-amerikansiche Historikerin, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2024 und Pulitzerpreisträgerin Anne Applebaum hat ein spannendes Buch publiziert, wie autokratsiche Strukturen auch auf demokratsiche Rechtssysteme abfärben und sich politsiche und technsich-digitale Strukturen auich in den westlichen Ländern verschränken.
Applebaum, Anne (2024) Die Achse der Autokraten. Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten (Penguin, 2024).
Aus dem Inhalt
„Autokratische Herrschaft besteht im 21. Jahrhundert nicht länger nur aus einem Tyrannen an der Spitze, der mit Gewalt sein Volk unterdrückt. Heute werden Autokratien durch ausgeklügelte Netzwerke geführt. Von China bis Weißrussland, von Syrien bis Russland unterstützen sich Autokraten von heute gegenseitig mit Ressourcen und Equipment made in Iran, Myanmar oder Venezuela: von Propaganda-Trollfarmen und Bots über Investitionsmöglichkeiten für ihre korrupten Staatsunternehmen bis hin zum Austausch modernster Überwachungstechnologien. Applebaum offenbart, auf welche Weise die Diktatoren der Welt hinter den Kulissen zusammenarbeiten, und macht deutlich, wie diese autokratische Allianz unsere Demokratie untergräbt.“ (Zitat Büchergilde)
Siehe auch: Friedenspreisträgerin Anne Applebaum auf der Frankfurter Buchmesse. Anne Applebaum warnt vor der Zersetzung westlicher Demokratien, kommentiert US-Wahlen und den Krieg in der Ukraine. Und das in einer Art, die nach Ansicht des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels fast schon schmerzt. Dafür bekommt sie nun den Friedenspreis. (26.2.2025)
Ihr Kollege Douglas Rushkoff, Medientheoretiker und Fachbuchautor, hat im Februar 2025 ein weiteres, wichtiges Buch publiziert und beschreibt, „wie aus der Aufbruchsstimmung der 1990er ein Programm aus Angst und Größenwahn werden konnte. “
Douglas Rushkoff (2024) Survival of the Richest. Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind
Als Douglas Rushkoff eine Einladung in ein exklusives Wüstenresort erhält, nimmt er an, dass er dort über Zukunftstechnologien sprechen soll. Stattdessen sieht er sich Milliardären gegenüber, die ihn zu Luxusbunkern und Marskolonien befragen. Während die Welt mit der Klimakatastrophe und sozialen Krisen ringt, zerbrechen sich diese Männer den Kopf, wie sie im Fall eines Systemkollapses ihre Privatarmeen in Schach halten können.
Der Medientheoretiker Rushkoff verfolgt die Internetrevolution seit Jahrzehnten, bewegte sich lange im Kreis von Vordenkern und kreativen Zerstörern. In einer Zeit, in der Elon Musk und Peter Thiel sich immer stärker in die Politik einmischen, rekonstruiert er, wie aus der Aufbruchsstimmung der 1990er ein Programm aus Angst und Größenwahn werden konnte. Viele Tech-Unternehmer wollen uns Normalsterbliche einfach nur hinter sich lassen, werden aber als Visionäre gefeiert. Angesichts der Zerrüttungen, die ihre Geschäftsmodelle produzieren, müssen wir uns von ihrem Mindset befreien – denn mitnehmen werden sie uns auf ihrem Exodus sicher nicht.“
Video: ttt – titel, thesen, temperamente: Das gefährliche Mindset der Tech-Milliardäre; Video der Sendung vom 09.02.2025 23:35 Uhr mit Untertitel
Print: F.A.Z. Beitrag: Das Mindset der Tech-Milliardäre
Frage: Was ist los mit westlichen Demokratien?
Was fasziniert an totalitären Systemen? Warum ordnen sich Menschen unter autokratische und totalitäre Strukturen ein? Was sind Gegenmittel?
Die konkrete Frage lautet: Was tun Sie, als Bürgerin und Bürger, um weiterhin in einem demokratischen System zu leben statt in einem totalitären System zu enden?
Ihre Aufgabe: Sammeln Sie Material (Beíträge, Bücher, Texte, Filme, Online-Materialien) zu (technischen, politischen, sozialen …) autokratischen Systemen, ihren Vertretern und Positionen. sammeln Sie Material der Gegenbewegungen. Recherchieren Sie nach den Vertretern und Positionen der demokratischen Zivilgesellschaft und ihrer Aktionen.
Und gestalten Sie eine mediale Kampagne (Plakate, Texte, Filme, Animation, Twwets), um andere Menschen zu aktivieren, sich für demokratsiche Prinzipien einzusetzen.
Thema II:
Ästhetik der Macht. Macht der Ästhetik.
1) Demokratie weltweit unter Druck: Zahl der autoritären Regierungen steigt weiter. Die Demokratie verliert an Boden: Erstmals seit 2004 verzeichnet unser Transformationsindex (BTI) mehr autokratische als demokratische Staaten. Von 137 untersuchten Ländern sind nur noch 67 Demokratien, die Zahl der Autokratien steigt auf 70. Auch bei Wirtschaftsentwicklung und Regierungsleistung zeigt die Kurve nach unten, die Corona-Pandemie hat bestehende Defizite noch deutlicher zutage treten lassen. Einen Lichtblick bietet zivilgesellschaftliches Engagement, das sich vielerorts gegen den Abbau demokratischer Standards und wachsende Ungleichheit richtet.
2) SZ-Kommentar: Deutschland und Israel:Eine sehr schnelle Einladung, Von Kristiana Ludwig und Sina-Maria Schweikle, Berlin, in: SZ vom 25.2.2025